Seit 2018 hat Shishu Mandir ein einmaliges Angebot in seinem Ausbildungszentrum in Bengaluru: Eine Fahrschule hauptsächlich für Frauen! Eine weitere Seltenheit ist, dass die jungen Frauen den Führerschein hier kostenlos machen können! So etwas hat es bislang in der Millionenstadt noch nicht gegeben. Nicht nur wird ihnen hier das Erlangen des Führerscheins ermöglicht, sondern sie bekommen auch weit über die Pflichtfahrstunden hinaus weitere Fahrpraxis, um sich sicher durch den chaotischen Verkehr der ewig verstopften Straßen von Bengaluru durchzumanövrieren.
Man stellt sich hier natürlich die berechtigte Frage nach dem Warum und Wie.
Es ist ja allgemein bekannt, dass Frauen in Indien auf dem Arbeitsmarkt sehr benachteiligt sind. Sie verrichten oft schwerste körperliche Arbeiten zu einem Bruchteil des Lohnes, den ein Mann verdienen würde. Frauen zu fördern war ja von Anfang an unser Ziel, wie wir mit der Beschulung von vorwiegend Mädchen seit Langem bewiesen haben. Nebenher liefen auch etliche Programme für Frauen, besonders um ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Doch außer der Ausbildung am Computer und im Nähen hatten wir bislang keine praktische Ausbildung für Frauen.
Der Aufschwung der Mittelklasse in den guten Wirtschaftsjahren seit 2008 hatte dazu geführt, dass sich viele Familien ein Auto leisten konnten, das aber nur von den Vätern gefahren werden konnte. Die Mutter? Oh, nein man kann ihr doch nicht zumuten, sich in diesem Verkehrschaos zurechtzufinden! Einen Fahrer oder besser noch eine Fahrerin müsste man für seine Kinder haben!
Viele der großen Call-Centren sind dazu übergegangen, ihren weiblichen Angestellten einen betriebseigenen Bus für den Weg zur Arbeit und zurück zur Verfügung zu stellen, um ihnen nach der Spät- oder Nachtschicht einen sicheren Heimweg zu garantieren. Aber auch dafür fanden sich nur Männer.
Wir witterten schon, dass sich hier eine vielversprechende Nische auf dem Arbeitsmarkt entwickelte. Frauen müssten animiert werden, einen Führerschein zu machen, und sich in die Domaine der Männer vorwagen! Der Weg dahin war aber für einen Großteil der jungen Frauen aus den Dörfern viel zu teuer, als dass sie jemals davon träumen konnten. Aber für die praktische Durchführung fehlte uns das Geld und der Mut.
Da kam wieder ein Wink von außen auf uns zu. Die amerikanische Firma „State Street“ schenkte uns ein neues Auto, das wir für beliebige Programme nutzen durften. Uns wurde sofort klar, dass dieses Auto bestens in unser Frauenförderungsprogramm passen würde, da ja weibliche Fahrer übergenug gesucht wurden. Und zu unserem Glück sprang eine Witwe mit zwei jungen Mädchen auf unser Angebot an und erlernte das Fahren des Personenwagens sehr schnell. Sie wurde so gut, dass wir sie mit entsprechender Extraführung zur Busfahrerin ausbildeten und sofort bei uns einstellten. Sie wurde damit sozusagen unser Lockvogel, denn viele Frauen brauchten ein solches Vorbild. Bislang haben es ca. 125 Frauen geschafft, ihren Führerschein zu erlangen, und über 50% von ihnen sind jetzt beruflich als Fahrerinnen tätig. Sie haben den riesigen Schritt in die finanzielle Unabhängigkeit geschafft und tragen einen Großteil zum Unterhalt ihrer Familien bei.
Die Fahrschule für vorwiegend Frauen hat sich als wunderbares Projekt für die psychische und soziale Stärkung der Frau erwiesen.
Die Fahrschule bildet selbstverständlich nicht ausschließlich Frauen aus, sie bietet auch jungen Männern eine Chance. Die meisten jugendlichen Autorikscha-Fahrer haben trotz langjähriger Fahrpraxis keinen Führerschein. Sie können jetzt bei uns die Ausbildung machen, wenn auch nicht vollkommen kostenfrei, und brauchen dann nicht mehr vor jedem Polizisten am Wege zu zittern, denn Fahren ohne Fahrerlaubnis wird schwer bestraft.